Zeitungsartikel aus der Kreiszeitung Lemförde:
Vier geflüchtete Jungs aus der Ukraine lernen bei der Seglervereinigung Hüde das Segeln. Doch um das allein geht es nicht bei dem Kurs. „Wir wollen den Kindern bei der Integration helfen“, sagt Jugendwart Thomas Schrader. Und: „Wir wollen, dass die Kinder Freunde werden.“
Hüde – Wie beinahe jede Geschichte über das Segeln beginnt auch diese mit dem Wind. Der fehlt nämlich an diesem sonnigen Sonntagnachmittag am Dümmer, weshalb die 15 Kinder des neuen Anfängerkurses der Seglervereinigung Hüde (SVH) ganz schön paddeln müssen, um überhaupt aus dem kleinen Hafen rauszukommen. „So ist das eben mit dem Segeln“, schmunzelt Thomas Schrader, der Jugendwart des Vereins.
Er schaut mit einem besonderen Blick auf den Kurs, denn er ist eine Premiere und damit etwas Außergewöhnliches in der SVH. Zu den jungen Segelschülern gehören vier geflüchtete Jungs aus der Ukraine im Grundschulalter. Dass sie nun in dem kleinen Anfänger-Boot, Typenklasse „Optimist“, sitzen, hat natürlich mehr als nur einen sportlichen Hintergrund. „Wir wollen den Kindern bei der Integration helfen“, sagt Schrader. Und: „Wir wollen, dass die Kinder Freunde werden.“
Letzteres gestaltet sich jedoch aufgrund der Tatsache, dass keiner der ukrainischen Jungs Deutsch spricht, schwierig. Zwar gibt es Artur, den fünften Jungen mit ukrainischen Wurzeln, der mit seiner Familie schon seit drei Jahren in Lemförde lebt und deshalb gut übersetzen kann. Doch wenn es raus geht auf den Dümmer, dann kann auch er nur in einem Boot sitzen und dolmetschen. Bei den anderen muss es „mit Händen und Füßen“ gehen, wie Jugendwart Schrader sagt. Wie das klappt? „Ganz gut“, meint er.
Kurstrainer Nils Timm bewertet die Kommunikation als „ein bisschen schwierig“. Aber das wird wohl erst dann ein echtes Problem, wenn es darum geht, dass neben den deutschen auch die ukrainischen Kinder die Prüfung zum Jugendsegelschein des deutschen Segel-Verbandes (DSV) ablegen müssen – speziell beim theoretischen Teil. In der Praxis klappt es an diesem zweiten von zehn Kurstagen schon recht gut, so Timm: „Die Kinder lernen alle schnell.“
Und wenn man ehrlich ist: Der Jugendsegelschein ist nur das zweite Ziel des Kurses. Das erste ist, den geflüchteten Kindern ein Programm anzubieten, dass sie – wenn auch nur für Minuten oder Stunden – den Krieg in der Heimat und die Trennung von Freunden und Verwandten vergessen lässt. „Für uns ist dieser Kurs eine Herzensangelegenheit“, sagt SVH-Vorsitzender Uwe Fischer. Vitaliy Vilinchuk, Arturs Vater und Kursbegleiter im Hintergrund, nennt den Segelkurs „eine gute Ablenkung von dem, was sie erlebt haben“ und eine „tolle Gelegenheit, mit anderen Kindern zusammenzukommen“.
Dafür stellt die Seglervereinigung, einer von zehn Segelclubs am Dümmer, den ukrainischen Jungs das vollständige Equipment zur Verfügung, gefördert wird die Teilnahme der ukrainischen Kinder allerdings auch vom Landessportbund.
Dass es allen Kindern in ihren nussschalengleichen „Optimisten“ Spaß macht, ist unverkennbar, als sie sich paddelnd rauskämpfen auf den See. Auch bei den ukrainischen Jungs, zehn bis zwölf Jahre alt, ist die Begeisterung groß. Der „Kontakt zum Wasser“ sei super, sagt einer. Auf Nachfrage Schraders, wer denn eines Tages ein großer Segler werden will, reißen Vlad, Yegor, Denis und Artur ohne zu zögern die Hände in die Luft. Nur Nazar, der redseligste von allen, sieht in dem Sport „eher ein Hobby“.
Es ist natürlich offen, ob die ukrainischen Kinder auch zukünftig noch segeln werden. Vor ihrer Ankunft in Deutschland habe der Großteil von ihnen schließlich „noch nie ein Boot gesehen“, wie Vitaliy Vilinchuk erklärt. Und was irgendwann mal sein wird, ob die Jungs zurückkehren werden in ihre Heimat – wer weiß das schon?
Die Solidarität der SVH mit der Ukraine erkennt man auch an der blau-gelben Landesflagge, die am Fahnenmast vor dem Clubhaus hochgezogen wurde. Fischer freut sich über die integrative Kraft des Kurses. Um zukünftig mehr Aufgaben dieser oder auch inklusiver Art übernehmen zu können, kooperiert die SVH mit der Integrierten Gesamtschule Melle, an denen den Schülern sogar die Möglichkeit geboten wird, Segeln als Prüfungsfach zu belegen. Robin Wacker/Carsten Sander